organic vs institutional – sie brauchen sich

Auf dem Weg zurück aus dem Urlaub habe ich auf der Alpenautobahn einen Talk von Tim Keller über das Wesen der organischen Kirche gehört. Im Schatten des Tauerngebirges malte er mir folgendes Bild vor Augen:

Heute stellt sich auf die Frage nach der organischen Kirche. Dem Teil der Kirche, der sehr lebensnah ist. Wo das Leben stattfindet. Im Wohnzimmer, am Arbeitsplatz. Im Gegensatz zur institutionellen Kirche – dem unattraktiven Monster mit großen Gebäuden, Zertifikaten, Diplomen und Administrationen. Tim Keller griff einen Gedanken von Abraham Kuyper auf – das organische braucht das institutionelle. Und umgekehrt.

organicinstitutional

Laut Keller ist die organische Kirche da, um das Reich Gottes in gesellschaftliche Schichten zu tragen. Der organische Flügel gründet Vereine und Gruppen, die sich um soziale Gerechtigkeit kümmern, um Spiritualität am Arbeitsplatz und christliche Schulen und Kindergärten. Also alles, was Ressourcen und Flexibilität braucht, um am „Marktplatz“ zu bestehen. Das braucht diese Freiheit und Selbstverantwortung, um dort effektiv bestehen zu können.

Die institutionelle Kirche ist da, um die Sakramente zu leben, Lehre zu vermitteln und die organische Kirche zu ermöglichen. Der organische Flügel bringt somit die Stabilität und den Zusammenhalt unter den Christen. Es braucht die Sakrament und es braucht die Lehre. Wenn die institutionelle Kirche die Aufgaben der organischen übernehmen will, ist sie zu unflexibel und voreingenommen.

Wenn man nur eine organische Kirche let, überlädt man sie mit zu vielen Aufgaben. Sakramente, Lehre, Jüngerschaft – das alles muss passieren. Und damit würde man den organischen Flügel überfrachten. Es ist das dynamische Miteinander; das Konzentrieren auf den Kernauftrag; und das demütige Zusammenspiel, das die Power der Gemeinde in einer Stadt ausmacht. Das organische als Teil der institutionellen Kirche. Guter Gedanke.

13 Kommentare zu „organic vs institutional – sie brauchen sich

  1. Überzeugt mich nicht. Hört sich an, als will sich die institutionelle Kirche hier die theologische Deutungshoheit sichern. Das ist ja das Problem: Keller scheint zu glauben, das es nur Gerechtigkeit und Kerzen und U2 im Gottesdienst geht, aber nicht um Veränderungen der Theologie selber. Das ist auch kein neuer Gedanke, habe ich schon öfters von konservativen Kirchen gehört. Macht ihr mal, Hauptsache, ihr funkt uns inhaltlich nicht in den Status Quo.

  2. DIe Trennung leutet mir nicht ganz ein. Dass die instituitionalistische Kirche einen orgnischen Part bracht macht für mich sehr Sinn aber andersherum? Braucht ein organischer Part wirklich einen instituitionellen? Ich sehe Jüngerschaft viel mehr im Kontext des normalen Lebens. Vermittlung von Lehre und Sakramente braucht nicht unbedingt einen instituitionalistischen Überbau.

  3. Hi Marlin!
    Hab den Talk von dem du redest, glaube ich auch gehört, zumindest ging’s um dasselbe Thema.
    Dass mich das nicht überzeugt, dürfte dich nicht überraschen.

    Bin mir nicht sicher ob du hier:
    „überlädt man sie mit zu vielen Aufgaben. Sakramente, Lehre, Jüngerschaft – das alles muss passieren.“
    Keller zitierst oder das deine eigenen Gedanken sind.

    Aus Kellers presbyterianischen Sicht kann ich ja die Sakramente verstehen, wenn auch nicht teilen. Denn: Haben wir nicht WIRKLICH das Priestertum und hat die Teilung von Klerus und Laientum nicht gerade dazu geführt, dass die exponentielle Ausbreitung der Christen gebremst bzw. gestoppt wurde?
    Thema Lehre: Ich glaube, da haben wir immer noch ein zu enges Verständnis. Dass die kognitive Vortragspredigt von vorne (ohne Diskussion darüber, Reflektieren oder besser noch gemeinsam in die Tat umsetzen) nicht das Optimum ist, ist doch glaube ich auch klar, nur leider eben das, was wir bei Lehre immer im Kopf haben, dabei ist das ntl. Spektrum doch viel größer.
    Und Thema Jüngerschaft verstehe ich Kontext der institutionellen überhaupt nicht: Da geschieht es doch eigentlich – wenn es überhaupt geschieht – in Programmen und eher sehr mittelmäßig. Echte Jüngerschaft ist nah am Leben dran, mit einem der mich zum Jünger macht.

    Und zusammengefasst: Alles passiert bei uns in der organischen Gemeinde. Unsere Leute sagen immer, dass sie in einem Jahr organische Gemeinde geistlich mehr gewachsen sind als in 5 Jahren „klassischer“ Gemeinde.
    Von daher ist für mich nicht erkenntlich, dass wir tatsächlich beides brauchen.

    Betonung auf „brauchen“: Ich bin mir völlig darüber im Klaren, dass für viele Christen organische Gemeinde von jetzt auf gleich sicher eine Überforderung wäre – und auch viele bezahlte Pastoren wüssten dann erstmal nicht, wovon sie ihre Familie ernähren sollen.
    Soviel erstmal.

  4. @Trupedo_Glastic: Ich würde dir zustimmen, wenn allein das (kulturelles Aufpimpen alter Formen) tatsächlich gemeint wäre. Der Punkt den Keller aber, denke ich, zu Recht macht, ist der:
    „Organische“ Gemeinde ist auf institutionelle de facto schmarotzerhaft bezogen. Die Ressourcen, die der institutionelle Wirt zur Verfügung stellt, werden von den organischen Parasiten bisher als selbstverständlich vorausgesetzt. Beispiel: Theologische Ausbildung. Es ist schlicht eine Tatsache, dass die „organischen“ Träume meist von denjenigen geträumt werden, die vorher eine von sog. „Institutionen“ zur Verfügung gestellte Ausbildung genossen haben. Angenommen, wir hätten mit einem Schlag nur noch kleine, lose Grüppchen total missionaler Christen. Wir würden ziemlich bald, ganz wörtlich, ziemlich dumm dastehen.
    Größere Zusammenhänge brauchen Organisation und vereinbarte Regelungen, Institution. Alles andere ist m.E. extrem kurzsichtig.

    Im Übrigen bin ich dafür, das Begriffspaar „organisch“ vs. „institutionell“ aufzugeben. Als wären 5 Leute, die sich regelmäßig treffen keine Institution… Das Problem liegt m.E. nicht in der Frage „Institution: Ja oder Nein?“, sondern in der Frage: „Wie können wir Institutionen (die als ‚Regelungen soialen Zusammenlebens‘ unvermeidlich sind) geistlich lebendig halten?“

  5. In der Soziologie ist im Hinblick auf Kirche ja meines Wissens bisher hauptsächlich zwischen dem institutionellen und dem organisatorischen Charakter von Kirche unterschieden worden. Die Gegenüberstellung zu „organisch“ leuchtet mir auch noch nicht unmittelbar ein.

    Und im Hinblick auf Kirche als Institution und Organisation muss man wohl sagen, dass tatsächlich beide aufeinander bezogen sein müssen, wobei auch Kirche als Organisation ausgesprochen hässlich sein kann. Da würde ich die Sympathien nicht so einseitig verteilen. Auch die Zuteilung dieser beiden Aspekte finde ich wie Alex problematisch – auch in großen Gebäuden ereignen sich zuweilen sehr bewegende Dinge, während das in manch christlichem Club ganz anders aussieht.

    Wie Trupedo finde ich bedauerlich, dass das Betreiben von Theologie relativ einseitig verteilt ist. Ansonsten findet sich hier wohl auch wieder das, was Yotin glaube ich mal ganz treffen als den typischen antiinstitutionellen freikirchlichen Reflex genannt hat und Aspekte wie Ausbildung (siehe oben), Kirche als Player in Gesellschaft und Politik etc. ausblendet.

  6. @Alex „Angenommen, wir hätten mit einem Schlag nur noch kleine, lose Grüppchen total missionaler Christen. Wir würden ziemlich bald, ganz wörtlich, ziemlich dumm dastehen.“

    So wie die Urgemeinde? Ohne Dir auf die Füsse treten zu wollen, aber: Wie bizarr anzunehmen, man bräuchte Theologen, die für das Denken zuständig seien. Ich für mich brauche keine in einer christlichen Gemeinschaft.

  7. Sorry, der letzte Kommentar war von mir, nicht von bpkreuzberg, kann man das bitte löschen? Hier nochmal:

    @Alex “Angenommen, wir hätten mit einem Schlag nur noch kleine, lose Grüppchen total missionaler Christen. Wir würden ziemlich bald, ganz wörtlich, ziemlich dumm dastehen.”

    So wie die Urgemeinde? Ohne Dir auf die Füsse treten zu wollen, aber: Wie bizarr anzunehmen, man bräuchte Theologen, die für das Denken zuständig seien. Ich für mich brauche keine in einer christlichen Gemeinschaft.

  8. @Trupedo_Glastic
    Dass ein oder zwei Theologen in einer christlichen Gemeinschaft dem Rest das Denken abnehmen, halte ich auch für bizarr. Dass die „Urgemeinde“ theologisch sozusagen „ungebildet“ war, glaube ich aber auch nicht. Denken gehört zum Glauben wie die Vernunft zum Menschen. Ich glaub, da sind wir uns eigentlich einig, oder?

  9. Achja, Nachtrag: Wo ich meinen ersten Kommentar anschaue, verstehe ich deinen Einwurf glaub ich besser. Könnte man so verstehen, dass ich meine, christliche Gemeinschaften, wären dümmer, wenn ihnen die Theologen fehlen. Ich dachte das mehr generell: Ohne Förderung des theologischen Denkens fehlt uns eine Dimension, die m.E. schlicht dazugehört. Das wirkt sich irgendwann auf alle aus.

  10. An der Unterscheidung zwischen institutionell und organisch scheint mir wirklich was dran zu sein. Genauso wesentlich scheint mir zu sein, dass das beides zusammengehört und nicht getrennt werden soll. Warum sollten beide getrennt werden, wo sie doch tief im Inneren ein gemeinsames Anliegen haben, auch wenn es Ihnen oft nicht bewußt ist? Jede Institution braucht doch ständig Erneuerung (organisch), sonst wird Sie ideologisch und kraftlos. Und muß am Ende mit einem Kraftakt erneuert werden, sonst geht sie zugrunde. Das betrifft Kirchen genauso wie Firmen und andere Organisationen (Institute)! Hier könnte man als Beispiel viele Firmen anführen…

    Und jetzt noch ein kleiner Ausflug in die katholischen Sphären: Vielleicht könnte man die Unterscheidung zwischen institutionell und organisch auch mit dem schönen Begriffspaar petrinisch und marianisch auf den Punkt bringen. Nach Petrus, auf den die Kirche gebaut ist und Maria, die sich Jesus ganz hingegeben hat und die Jesus präsentiert. Cooler Gedanke.

  11. petrinisch?! Wow – ein neues Wort entdeckt.

    danke für die Rückmeldungen allerseits. Wenn auch die Stimmung etwas verhalten zu der Idee ist – habe ich mich jetzt gefragt: warum fand ich das denn einleuchtend?

    für mich gibt es eine Spannung zwischen Sammeln und Senden. Sammeln braucht einen gemeinsamen Kern, etwas Verbindendes und Klares. Daraus wächst die Identität wie auch die Energie, wenn es richtig funktioniert. Senden nutzt diese Energie und wendet sie an. Es braucht Flexibilität und gute Ideen. Ich erlebe, dass es eine schwierige Balance ist.

    Manche Themen kann man als Gemeinde oder kleine Gruppe nicht angehen. Strukturelle Gerechtigkeit z.B. Ich kann aus unsrer Gruppe keinen politischen Verein machen. Das entspricht nicht unserem Wesen. Er hat vielleicht politische Implikationen, aber kommt der Politik nicht in der Fülle genüge. Aber Leute zu stärken, die dann Politik machen, das passt irgendwie.

    Gleichzeit merke ich bei den Gemeinschaften und kleine Gruppen, dass sie in manchen Punkten Unterstützung brauchen. In seiner Nische missional zu leben, Leute zu bekehren usw ist nicht trivial wenn man noch 2 kleine Kinder nebenher hat. Dann noch die pastoral-lehre-Verantwortung zu haben – das ist eine große Herausforderung. Daher der Kommentar mit „überladen“.

    Strukturen müssen sich immer ändern, weil keine perfekt ist. Man fokussiert und muss dann wieder anpassen. Und ich sehe auch eher die gegenseitige Befruchtung in dieser Darstellung.

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